Anhang

 

1

Kein Lebewesen, das auch nur einen Funken Verstand besitzt, kann sein ganzes Dasein im Zustand anhaltender Realität zubringen. Alle Geschöpfe, die über ein halbwegs entwickeltes Gehirn verfügen, brechen zuweilen mit Rauschgiften aus dem grauen Alltag aus. Das Bedürfnis, sich zu »bedröhnen«, zieht in der Natur viel weitere Kreise, als die Wissenschaft noch vor wenigen Jahren glauben wollte. Viele kennen heute das Beispiel der afrikanischen Elefanten, die sich mit Leidenschaft vergorene, mit Alkohol durchsetzte Früchte zu Gemüte führen und danach besoffen durch die Gegend trampeln, so laut und rüde wie Hooligans nach einem verlorenen Fußballspiel. Oder das Beispiel der Vögel, die sich an Hanfkörnern delektieren, die Haschisch enthalten, und dann tierisch angetörnt durch die Lüfte flattern.

Und dann wäre da noch die Katze, die sich liebend gerne am Geruch der sogenannten »Katzenminze«, aber auch von Baldrian und einigen anderen einschlägigen Pflanzen berauscht. Die aus Asien stammende Katzenminze ist mit Marihuana verwandt und enthält in ihren Stielen und Blättern eine chemische Substanz namens Nepetalacton. Diesen Stoff, der für die menschliche Nase ein bißchen nach Minze, aber auch ein bißchen nach frischer Wiese duftet, können Katzen bereits in einer Verdünnung von eins zu einer Milliarde wittern.

Auf die ganze Familie der Felidae, vom Löwen bis zum Stubentiger, hat die Essenz die gleiche Wirkung. Katzen fressen die Pflanze selten, schnüffeln und reiben sich jedoch daran oder wälzen sich darauf. Außerdem kauen, nagen und schlecken sie daran. Daraufhin geraten sie entweder in Trance, verfallen in Ekstase oder werden einfach kontemplativ. Manche Katzen sind wie gebannt, andere scheinen verrückt vor Freude, schnurren laut, wälzen sich am Boden und machen sogar Luftsprünge.

Der ganze »Trip«, der etwa eine Viertelstunde dauert, hat auf der einen Seite viel mit den natürlichen sexuellen Reaktionen der Katze gemeinsam, die immer deutlicher werden, wenn die Dosis erhöht wird. Der Speichelfluß steigt dann dramatisch, der Kater bekommt eine Erektion, während die weibliche Katze den geschlechtstypischen Liebesschrei ausstößt. Auf der anderen Seite gibt es auch einige Zeichen, die eher an ein Delirium und an Halluzinationen denken lassen. So starren viele »beschwipste« Katzen mit leerem Blick in die Ferne, während andere nach imaginären Faltern grapschen.

Manche Forscher vermuten, daß die Katzenminze ein natürliches, saisonales »Aphrodisiakum« ist, das die Katze im Frühjahr in Stimmung bringt, um Liebe zu machen. Allerdings besitzen nur etwa 70 Prozent aller Katzen die Anfälligkeit für die berauschende Pflanzendröhnung, die durch ein dominantes Gen übertragen wird. Diese schweigende Mehrheit fährt aber auch voll auf das »Katzenkraut« ab, wie jeder Hobbygärtner weiß, dessen Minzekulturen von gierigen Katzen-Junkies zertrampelt wurden. Ein alter schwäbischer Spruch lautet denn auch: »Du streichst dich wie die Katze um den Baldrian.« Wenn Ratten mit Nepeta-Öl beträufelt werden, erlischt bei der Katze jeglicher Jagdinstinkt, und sie läßt sich in Anwesenheit des Erzfeindes zu demütigenden Aktionen hinreißen – nach dem Motto »make love, not war!«. Schlaue Ratten würden demnach immer ein Blatt Katzenminze bei sich tragen, das so unentbehrlich ist wie ein Kranz Knoblauch in Transsylvanien.

Nepeta-Öl ist mittlerweile auch als Spray im Handel erhältlich und wird angeblich von Dompteuren als Notbremse gegen übermütige Löwen eingesetzt. Leider haben sich auch die Fallensteller schon lange diese besondere Schwäche der Felidae zunutze gemacht. Tierärzte benutzen diese sanfte Pflanzenmedizin auch schon einmal als Beruhigungsmittel. Wer seiner Katze hin und wieder etwas Ekstase gönnen möchte, sollte zurückhaltend dosieren, denn der Effekt geht flöten, wenn man des Guten zuviel tut.

Man weiß bis heute nicht genau, ob Katzenminze eine richtige »psychedelische« Droge wie LSD mit halluzinoge-ner Wirkung ist. Das Problem liegt darin, daß beim Minzerausch überhaupt kein Wirkstoff in den Organismus und in das Gehirn gelangt. Das »High« kommt allein durch den Kontakt der Duftmoleküle mit der Riechschleimhaut zustande. Dies ist einmalig in der Welt des Drogenkonsums, denn selbst die Menschen, die zur Berauschung Lösungsmittel schnüffeln, nehmen dabei fremde Moleküle auf. Der Katzenminzetrip ist jedoch wesentlich abgefahrener als der normale sexuelle Erregungszustand. Wahrscheinlich ist das Nepeta-Öl ein sogenannter »supranormaier« Stimulus, der die gleichen Rezeptoren anspricht wie die arteigenen Pheromone. Wegen ihrer ungewöhnlichen Struktur erzeugt die Droge aber eine übersteigerte Wirkung, die weit über das ursprüngliche Sexprogramm hinausgeht. Es gibt übrigens auch beim Menschen supranormale Stimuli. Dazu gehören etwa die »Superattrap-pen«. Das sind Darstellungen weiblicher Schönheiten, die viel stärker ausgebildete Schlüsselreize besitzen, als die Natur sie je produzieren könnte. Nur drehen die meisten von uns nicht gleich durch, wenn sie die Brüste von Pamela Anderson sehen.

Es sind auch Berichte über Menschen bekannt geworden, die Katzenminze in der Pfeife geraucht haben. Sie sollen einen sehr fröhlichen, zufriedenen und berauschten Eindruck gemacht haben. Bei einigen Hippies der 60er Jahre galt das in der Pfeife gerauchte Kraut als ein mildes Halluzinogen, das dem Haschisch in nichts nachstand. In manchen Ländern wurde die Pflanze sogar zur Therapie gegen spastische Erkrankungen eingesetzt. Ein britisches Rezeptbuch aus dem Jahr 1629 behauptet, daß die Auszüge aus der Katzenminze den »weiblichen Lauf« beschleunigen. Ein neues Nachschlagewerk macht diese etwas unverständliche Angabe klarer: Katzenminze sei hilfreich bei verzögerter Menstruation. Das bedeutet mit anderen Worten, daß der heiße Katzen-Stoff als Abtreibungsmittel eingesetzt werden kann. Möglicherweise ist die Droge in alten Zeiten für diesen Zweck verwendet worden.

Das mit der Katzenminze verwandte Kraut »Matatabi«, das die Japaner »Lustpflanze« nennen, schlägt noch viel stärker an als Nepeta selbst. Großkatzen, die an dieses schlimme Teufelszeug herankamen, ließen dafür alle natürlichen Vergnügungen sausen – Essen, Trinken und Geschlechtsverkehr. In diesem Fall handelte es sich um eine echte, schwere Sucht, denn die Tiere kamen nicht mehr von der harten Droge weg, selbst als diese begann, die Riechzentren und das Gehirn zu zerstören – wie bei der menschlichen Schnüffelsucht. Der bizarrste und abenteuerlichste Fall kätzischen Drogenkonsums wird allerdings von den Tukano-Indianern im tropischen Regenwald geschildert. Nach ihren Darstellungen kann man dort häufig Jaguare beobachten, die sich an der Rinde des Yaje-Baums vergehen. Auch die Tukanos selbst tun sich vor der Jagd an dieser botanischen Kostbarkeit gütlich, weil sie den Eingeborenen angeblich überlegenes Jagdgeschick und das phantastische Auge des Jaguars verleiht. De facto enthält Yaje eine halluzinogene Droge, die die Pupillen erweitert und ein High erzeugt. Sie steigert aber auch die Sehschärfe und macht die Aufmerksamkeit für sensorische Reize klar und hell. Vielleicht hat also der Jaguar irgendwann gemerkt, daß einem mit Yaje »gedopten« Jäger Flügel wachsen.

 

2

Entgegen einem weit verbreiteten Irrtum können auch Katzen schwimmen, allerdings sind die meisten von ihnen sehr wasserscheu und schwimmen nur, wenn sie es unbedingt müssen. Werden sie einmal naß, so versuchen sie durch Lecken und wildes Schütteln möglichst schnell jeden Tropfen Wasser von sich zu bekommen. Das kann damit zusammenhängen, daß die Feuchtigkeit die hervorragende Wärmeisolierung des Katzenfelles in Mitleidenschaft zieht. In der Türkei gibt es aber eine Katzenrasse, die sogenannte »Van Katze«, die gern ins Wasser geht und dort nach Fischen jagt. Auch die südasiatische Fischkatze wagt sich gerne und häufig ins feuchte Element. Auf ihrer Suche nach Beute kauert sie nicht nur am Ufer und holt sich mit einem gezielten Schlag die Fische aus dem Wasser, sondern watet auch häufig auf der Suche nach Krabben und anderem Wassergetier in seichten Gewässern umher oder erbeutet Fische tauchend und schwimmend, außerdem sucht sie das Wasser nach Fröschen, Krebstieren und Wasserschnecken ab. Die alten Ägypter nutzten die Hauskatze angeblich nicht nur als Mäusefänger, sie sollen sie auch auf das Fangen von Fischen abgerichtet haben. Auch Löwen und Leoparden widerstrebt der Aufenthalt im Wasser; aber der Jaguar und der Tiger gebärden sich gerne als Champions des Schwimmsports.

Obwohl die meisten Katzen schwimmen können, besitzen sie bei weitem nicht die Ausdauer der Hundeartigen. Daher sind sie manchmal auch überfordert, aus einem Swimmingpool oder einem Teich herauszuklettern. Viele kleine Kätzchen verenden elend, wenn sie in eine Badewanne oder einen Eimer gefallen sind.

 

3

Katzen haben einen deutlich ausgeprägteren Geruchssinn als wir Menschen, der es ihnen erlaubt, direkt nach der Geburt mit traumtänzerischer Sicherheit die Zitze der Mutter anzusteuern, obwohl sie blind und taub zur Welt kommen. Ihre olfaktorischen Leistungen übertreffen die unseren auf so unvorstellbare Weise, daß wir sie getrost als »sechsten Sinn« oder »hellriechen« bezeichnen können. Obwohl die Katze nur einen kleinen Kopf mit winzigen Nasenlöchern zur Verfügung hat, ist ihre Naseninnenhöhle durch mehrere muschelförmige Einbuchtungen künstlich vergrößert. Die eingeatmete Luft strömt durch einen wahren Irrgarten aus Knochen und Höhlungen, der auf einer Fläche von vierzig Quadratzentimetern mit Riechschleimhaut besiedelt ist. Die menschliche Riechhöhle ist nicht einmal mit der Hälfte dieser Auffangfläche ausgekleidet. Bei der Katze werden die gasförmigen Moleküle im Luftstrom von 60 bis 70 Millionen mikroskopisch kleinen Riechzellen aufgefangen und in Nervenimpulse umgewandelt, während dem Menschen gerade einmal 5 bis höchstens 20 Millionen dieser olfaktorischen Rezeptoren zu Gebote stehen – die Rezeptorendichte ist ein verläßlicher Gradmesser der Empfindlichkeit. So besitzen unsere Fingerspitzen eine hohe Sensibilität, weil sie engmaschig mit Tastrezeptoren bespickt sind, während der eher unempfindliche Oberarm eine viel geringere Sensorendichte aufweist.

Die Riechzellen im Riechfeld lassen winzige Härchen (Clia) herausragen, die die Duftmoleküle einfangen und sich im Luftzug hin- und herbewegen wie Seeanemonen auf einem Korallenriff. Dieses Riechfeld ist gelb und feucht und enthält fetthaltige Substanzen. Die Intensität der Gelbfärbung ist ebenfalls ein Gradmesser für die Sensibilität der Nase: Je stärker der Farbton, um so feiner der Geruchssinn. Albinos haben nur einen sehr schwach ausgeprägten Geruchssinn und daher ein bleiches Riechfeld. Das Riechfeld der Katze ist intensiv senfbraun, während das des Menschen nur eine hellgelbe Tönung aufweist.

Man hat auch festgestellt, daß dunkelhäutige Menschen mit einem dunkleren Riechfeld ausgestattet sind – und daher theoretisch besser riechen können müßten.

Der Geruchssinn der Katze ist aber noch nicht einmal der Gipfel in der Natur; ein Superschnüffler, der deutsche Schäferhund, besitzt eine Riechschleimhaut, die ungefähr 170 Quadratzentimeter und 200 Millionen Riechzellen mit Beschlag belegt. Aus unerklärlichen Gründen soll der Tiger, ein ausgekochter Jäger, mit einer ganz schlechten Nase geschlagen sein, was viele Rätsel aufgibt. Aber die meisten Tiere, die eine feine Nase besitzen, gehen auf allen vieren, und ihr Kopf befindet sich in der Nähe des Bodens, wo sich die feuchten und schweren Duftmoleküle konzentrieren. Das gilt für die Katze ebenso wie für den Elefanten, der seinen Rüssel meist nach unten hängen läßt.

Die Geruchswelt der Katze ist so weit von unserer entfernt, daß die Phantasie uns nur eine verschwommene Vorstellung davon vermitteln kann. Die Katze, die sich von einer Ecke des Zimmers in die andere begibt, macht bei dem kurzen Trip womöglich so intensive Erfahrungen wie ein Mensch, der von einem olfaktorischen Extrem ins andere fällt: Erst der (aus Vanille bestehende) Anschlag auf die Geruchsnerven, wie er dänischen Eisdielen entströmt, dann der »Gasangriff« aus einer verkommenen öffentlichen Toilette, und im nächsten Augenblick der ätherische Duft von Veilchenblüten. Besonders empfindlich reagiert die Nase der Katze auf Gerüche, die Stickstoffverbindungen enthalten. Dadurch wird das Tier befähigt, verdorbenes oder ranzig gewordenes Futter abzulehnen, das stickstoffhaltige Chemikalien abgibt. Was Fäulnis angeht, reagieren Katzen im Verhältnis zu Hunden ausgesprochen pingelig; sie haben lieber alles so frisch wie möglich und auf keinen Fall abgestanden und reif. Die Katze, die um den heißen Brei herumschleicht, hat wahrscheinlich eher den verdächtigen Geruch als die Hitze im Sinn. Eine Ausnahme machen allerdings die Löwen, die sogar stinkendes Aas verdrücken, das nur so vor Leichengift trieft. Das andere Extrem ist der Gepard, der sich nur einmal kurz an Blut und Leber der frisch erlegten Beute gütlich tut und jedes »abgehangene« Fleisch verschmäht.

 

4

Im Umgang mit entthronten Göttern hat die Menschheit seit jeher eine ebenso simple wie rabiate Methode parat: Sie erklärt sie zu Teufeln. Der gleiche religionsgeschichtliche Mechanismus sollte der Katze im christlichen Mittelalter zum Verhängnis werden. Im alten Ägypten noch als Göttin der Fruchtbarkeit angebetet, mußte sie nun als Sündenbock und Sinnbild des Teufels herhalten. Als Verbündete der angeblichen Hexen und Hilfsgeist des Satans wurden Katzen verfolgt, gequält und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Vor allen anderen Haustieren geriet unser zahmer Stubentiger ins Visier klerikalen Mißfallens. Man sagte, daß der Hausgeist einer Hexe mit Vorliebe im Leib einer Katze »wohne« – diese schlüpfe dann in die Ställe, um das Vieh zu verderben.

Warum es ausgerechnet die Katze so hart getroffen hat, kann man nur vermuten. Es lag vielleicht daran, daß sie im Unterschied zu allen anderen domestizierten Mitgeschöpfen dem Menschen keinen unterwürfigen Gehorsam entgegenbringt. Erschwerend kam wahrscheinlich hinzu, daß die eigensinnige Samtpfote uns nicht mit Fleisch oder mit großartigen Dienstleistungen behilflich ist. Vielleicht ging es ihr auch an den Kragen, weil die christlichen Patriarchen die seit Urzeiten bestehende innige Beziehung zwischen Frauen und Katzen fürchteten oder weil die Katze nach den überlieferten Mythologien der Ägypter, Griechen und Römer in engem Kontakt mit dem Mond und der Unterwelt stand. Die Katze macht sich die Nacht zum Tag, sieht im Dunkeln, kommt und geht nach Belieben und erkennt keine Autoritäten an. Kein Wunder, daß sie der Kirche ein Dorn im Auge war.

Zwischen dem zwölften und vierzehnten Jahrhundert wurden alle ketzerischen Vereinigungen beschuldigt, dem Teufel in Gestalt einer großen schwarzen Katze zu huldigen. Sie feierten angeblich Zeremonien, bei denen rituelle Kindstötungen und Sexorgien en vogue waren, und deren Höhepunkt darin bestand, gemeinschaftlich den Anus des vierbeinigen Teufel-Stellvertreters zu küssen. Einem mittelalterlichen Glauben zufolge erschuf der Teufel die Katze sogar persönlich – aus Versehen. Er wollte eigentlich einen Menschen schaffen, aber es gelang ihm nur eine haarlose Katze. Petrus war es, der Mitleid mit dieser armen Kreatur empfand und ihr ein Fell gab. Wenn der Teufel beschworen werden sollte, benötigte man dazu immer eine Katze. Im schottischen Hochland gab es einen Ritus, bei dem mehrere Personen eine lebende Katze rückwärts über ihre Schulter in einen Röstofen mit zwei Türen werfen mußten. Obwohl (schwarze) Katzen mit dem Odium der Hölle und der schwarzen Magie behaftet waren, diente ausgerechnet ihre Leber häufig als Zutat bei der rituellen Teufelsaustreibung (Exorzismus). Man dachte wohl im Geiste der Homöopathie, daß man böse Dinge am besten mit bösen Dingen austreibt.

Besonders gewütet hat man gegen Katzen im Zusammenhang mit den Hexenverfolgungen. Das hatte zwei Gründe. Erstens glaubte man, daß sich Hexen zeitweise in Katzen verwandelten. 1484 verkündete Papst Innozenz VIII., daß Hexen den Satan anbeten und die Gestalt ihrer tierischen Gehilfen, der sogenannten »Hexentiere«, annehmen würden. Der Glaube, daß eine Hexe nur neun Mal die Gestalt einer Katze annehmen könne (was die Vorstellung von den neun Leben einer Katze widerspiegelt), war damals weit verbreitet. Zweitens verdächtigte man Hexen, über Katzen in Verbindung mit dem Teufel zu stehen. Auf dem Besenstiel saß auch immer eine Katze. Folgerichtig wurden Katzen oft gemeinsam mit den Hexen gefoltert und verbrannt. In vielen Ländern Europas war es außerdem üblich, an bestimmten Tagen »Treibjagden auf Hexen« zu machen, sprich: Katzen zu fangen und zu töten. In Holland gab es sogar einen »Katzenmittwoch«, an dem Katzen massenweise umgebracht wurden.

Im katholischen Europa wurden Menschen gefoltert und umgebracht, weil sie Katzen besaßen oder betreuten. In der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts kamen Katzen sogar selbst auf die Anklagebank; ein Schuldspruch beförderte sie stets auf den Scheiterhaufen. Als die Pest in Europa ein Drittel der Bevölkerung dahinraffte, wurde nicht den Ratten, sondern den Katzen die Schuld gegeben. Der Oberbürgermeister von London ordnete die Tötung aller Katzen an und beseitigte damit ohne sein Wissen die größte Barriere gegen die Ausbreitung der Seuche. Zum Schutz gegen Unheil wurde beim Bau von Häusern, Burgen und Kirchen oft eine lebendige Katze als »Bauopfer« eingemauert.

 

5

Jeder, der sein Haustier im Schlaf beobachtet hat, wird bemerkt haben, daß Katzen oder Hunde im Schlaf fauchen, knurren, ja sogar mit den Pfoten zucken und strampeln. Diese Beobachtungen decken sich mit den Berichten von Zoologen, die den Schluß nahelegen, daß auch Tiere träumen und Erlebtes so »bearbeiten«. Der französische Neurologe Michel Jouvet ist der Meinung, daß bei Katzen bestimmte Verhaltensabläufe, welche für das Jagen von Beutetieren notwendig sind, nochmals im REM-Schlaf, gleichsam im »Trockentraining«, ablaufen, bevor sie fest ins Gehirn einprogrammiert werden. »Die Träume der Katzen spielen nur unter Mäusen«, brachten es schon die alten Chinesen auf den Punkt.

Wir wissen heute, daß Träume vorwiegend in bestimmten, zyklisch wiederkehrenden Schlafphasen »ausgebrütet« werden, in denen wir hektisch die Augen bewegen. Wer aus solch einer REM-Phase geweckt wird, kann so gut wie immer einen Traum zum besten geben. Das Gehirn, das während des traumlosen Schlummers fast völlig abschaltet, wird in dieser Periode von einem wahren Feuerwerk von elektrischen Entladungen durchzuckt. Trotz dieser Erregung wird die Muskulatur von einer unüberwindlichen Lähmung, der Traumstarre (Atonie) übermannt. Vermutlich hat die Evolution den Träumer absichtlich bewegungsunfähig gemacht, damit er keinen unsinnigen Traumgedanken in die Tat umsetzt und sich mit imaginären Flügeln von der Fensterkante schwingt.

Katzen verbringen jeden Tag etwa 16 Stunden in Morpheus' Armen, was ungefähr 70 Prozent ihres Zeitbudgets ausmacht. Ungefähr 30 Prozent des kätzischen Schlummers – genau doppelt so viel wie beim erwachsenen Menschen – fallen auf den REM-Schlaf. Um dieses Gefilde zu erreichen, muß die Katze völlig gelöst sein. Dazu streckt sie alle viere von sich und scheint weggetreten. Ihren Traumschlaf hat sie erreicht, wenn sie dann noch den Kopf auf die Seite dreht und sich ihre Augen wild hin und her bewegen. Während des REM-Schlafs gibt es noch andere Anhaltspunkte dafür, daß Katzen träumen oder zumindest halbbewußte, mit dem menschlichen Träumen vergleichbare Erfahrungen machen: Positionswechsel, Bewegungen der Pfoten, der Krallen und des Schwanzes, Zuckungen der Schnurrhaare und Ohren und in einigen Fällen auch Lautbildungen. Wenn eine Katze aus dieser Phase geweckt wird, dauert das Aufwachen etwas länger. Sie scheint aus einer anderen Welt zurückzukommen, denn sie braucht einige Momente, um ihre Umgebung zu realisieren. Offensichtlich erfüllt der REM-Schlaf einen wichtigen biologischen Zweck, denn Katzen, die ihn entbehren mußten, holen ihn bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit nach.

Einen etwas genaueren Blick in das Traumuniversum der Katze hat Michael Jouvet gewonnen, indem er jene Stellen im Hirn ausschaltete, die im REM-Schlaf die Muskeln stillegen. Flugs begannen die Tiere, im Schlaf nichtexistierende Mäuse zu jagen; sie legten sich auf die Lauer, kämpften gegen einen imaginären Widersacher, fauchten, bissen und betrieben im »Leerlauf« ziellose Körperpflege. Es sah ganz danach aus, als ob sie die animalischen Impulse ihrer Träume auslebten. Allerdings bleibt bis heute völlig offen, warum Katzen doppelt so viel Zeit im Traumschlaf zubringen wie ihre geneigten Dosenöffner.

Daß auch Tiere im Schlaf Episoden und Vorkommnisse des vorangegangenen Tages »wiederkäuen«, hat man übrigens ausgerechnet bei der Ratte entdeckt, dem verkommenen Antipoden unseres dekorativen Stubentigers. Deren Hirnaktivität wurde untersucht – während des Experimentes liefen die Laborratten durch ein Labyrinth, in dem sie an manchen Stellen Futter vorfanden. Die dazugehörigen »Gehirndaten« wurden vom Computer aufgezeichnet. Daraus erstellten die Forscher eine Grafik. Nach der Futtersuche im Labyrinth fielen die total erschöpften Nagetiere schnell in eine REM-Schlafphase. Die Computer zeichneten weiterhin die Gehirndaten auf. Bemerkenswertes Ergebnis: Die im Schlaf der Ratten entstandene Grafik sah fast genauso aus wie diejenige von der Futtersuche. Das bedeutet, daß Ratten im Schlaf fast das gleiche wie am Tag noch einmal erleben und im Traum »üben« bzw. »lernen«, so wie das auch für Menschen gilt – man glaubt ja auch, daß Träume notwendig sind, um Gedächtnisinhalte zu festigen.

 

Ende Anhang